Mittwoch, 25. Januar 2017

"Erinnerungspolitik": In Erinnerung an Heinrich Blumenthal.

Darmstadt Liberale Synagoge
Etwas Persönliches vorab. Ich bin, was das jüdische Volk angeht, positiv befangen. Mein großer Mentor und Unterstützer in den ersten Jahren meiner politischen Gehversuche, war Günter A., von dem ich erst viel später erfuhr, daß er jüdischer Abstammung war. Ignaz Bubis, Vorsitzender des Zentralrats der Juden, war zeitweilig mein Vermieter, und eine der von mir meistgeschätzten Persönlichkeiten der jüngeren Geschichte. Sabine L., meine Freundin und WG-Mitbewohnerin, war als Sproß einer jüdischen Getreidegroßhändlerfamilie für mich gewissermaßen das persönliche Symbol des international vernetzten jüdischen Großbürgertums, das ich sozusagen von ganz unten, aus den kleinen Verhältnissen, aus denen ich stamme, bewunderte. Schließlich ist da noch Hanna, die jüdische Großmutter meiner beiden ältesten Enkelinnen.

Die linke Szene Frankfurts, der ich in den Siebzigern angehörte, war in der Israel-Frage tief gespalten, ich stand auf der proisraelischen Seite des tiefen Grabens.


Daran hat sich nichts geändert. 


Soweit der Vorspann. Daß ich mit diesem Hintergrund wenig von einem "Wandel der Erinnerungspolitik um 180 Grad" halte, versteht sich von selbst.


Aber auch die "offizielle" Erinnerungspolitik betrachte ich mit allergrößtem Mißtrauen. Darmstadt nicht ausgenommen.

Im liberalen Darmstadt, das in der Aufklärungszeit einen modernen und fortschrittlichen Regenten hatte, lebte eine große und einflußreiche jüdische Gemeinde. Zwei Synagogen existierten in Darmstadt, 1.800 Mitglieder hatte die jüdische Gemeinde, die Nazis vernichteten diese Gemeinde vollständig, brannten die Synagogen nieder, mehr als 600 Juden wurden ermordet.


Heute gibt es wieder eine jüdische Synagoge, die Gemeinde ist auf mehr als 600 Personen angewachsen, die Stadt hat den Bau weitestgehend finanziert. Am Standort der ehemaligen Liberalen Synagoge in der Friedrichstraße findet sich eine Gedenkstätte, ebenso am Standort der Orthodoxen Synagoge in der Bleichstraße. Die Stadt müht sich.


Aber noch immer findet sich eine bemerkenswerte Lücke. Sie betrifft die beiden bedeutenden jüdischen Bürger Otto Wolfskehl und Heinrich Blumenthal.

Es besteht weitestgehend Einigkeit, daß der wohl bedeutendste jüdische Mitbürger Darmstadts, der Fabrikant, Bauherr, Stadtteilplaner und Investor, Stadtverordnete, Mäzen, Förderer von Kunst, Kultur und Religion Heinrich Blumenthal war. Mit dem Juden Blumenthal, der als erster 1850 in seiner Maschinenbaufabrik eine Dampfmaschine einsetzte, begann in Darmstadt das Industriezeitalter. Blumenthal plante und finanzierte die Bebauung des heute "Johannesviertel" genannten Blumenthalviertels, baute den Louvre, unterstützte den Bau der Johanneskirche und der Liberalen Synagoge, er vertrat als Mitglied der Nationalliberalen die Darmstädter Bürger in der Stadtverordnetenversammlung und wurde schließlich damit geehrt, daß das von ihm geplante Viertel den Namen Blumenthalviertel erhielt, und die das Viertel nach Osten abschließende Straße den Namen Blumenthalstraße.


Auf ewig, so dachte der damalige gleichfalls nationalliberale Bürgermeister Darmstadts, Ohly, würde so der Namen Blumenthals mit der Stadt verbunden sein.


Als die Nazi 1938 die Darmstädter Synagogen, niederbrannten, wurde auch die Blumenthalstraße umbenannt und erhielt zunächst den banalen Namen "Taunusring". Die Namensgebung wurde durch die sozialdemokratische Stadtregierung nach dem Krieg zwar wieder aufgehoben, aber in der Weise, daß nun die ganze Straße nach dem im Krieg völlig zerstörten Kasino benannt wurde.


Warum? Was sprach dagegen, Blumenthal zu Ehren wieder "seine" Straße nach ihm zu benennen? Gab es Wichtigeres? War es, wie es Mitscherlich nannte, die "Unfähigkeit zu trauern"?


Mit Otto Wolfskehl, Zeitgenosse Blumenthals, Unternehmer, Politiker, Mäzen, vor allem Förderer der Technischen Hochschule ist man nicht viel besser verfahren. Auch nach Otto Wolfskehl wurde eine Straße benannt, die heutige Goebelstraße und diese Straße wurde nach dem Krieg, nach dem Ende des Dritten Reiches in Goebel-Straße umbenannt. 


Darmstadt bemüht sich um die Erinnerung an die beiden wohl größten jüdischen Mitbürger der Stadt, Schilder werden aufgestellt, der Oberbürgermeister hält eine Rede, da und dort wird wieder der Namen Wolfskehls und Blumenthals erwähnt, aber die Goebelstraße bleibt die Goebelstraße und die Kasinostraße die Kasinostraße.


Man könnte es ändern, aber es würde sich die Frage stellen, warum man es nicht schon längst geändert hat. Und die Antworten darauf können nur eine peinliche Tatsache zu Tage fördern.


Also wird es dabei bleiben.


Es wäre interessant, sich Gedanken darüber zu machen, welcher Partei Blumenthal und Wolfskehl wohl heute angehören würden. Die Nationalliberalen waren die Partei, auf die sich Bismarck wesentlich stützte. Sie waren patriotisch, liberalkonservativ, monarchistisch, rechts. Die patriotischen, nationalliberalen Juden gaben ihren Kindern die Namen von deutschen Kaisern und Königen. Otto, Heinrich, Friedrich (so hieß der unbestrittene Chefdenker der Preußischen Konservativen, der Jude Friedrich Julius Stahl). Aus der Nationalliberalen Partei entstand in der Weimarer Republik die Deutsche Volkspartei Gustav Stresemanns. 

Nach dem Zweiten Weltkrieg erlosch in der bald linksliberalen FDP die Stresemannsche Tradition. Und mit der Liquidierung der Deutschen Partei erlosch auch die Tradition der Konservativen, die mit der Exilierung der Konservativen aus der CDU ihr Ende fand. Wäre Blumenthal Mitglied der Blauen? Bedingungslos sicher nicht. Aber denkbar wäre es.

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