Sonntag, 29. Januar 2017

Zur Morphologie der Mollerstadt

Darmstadt 1835

Mollers Neue Vorstadt gehört zu den Planstädten, die überall in Europa seit der Zeit der Renaissance entstanden. Sie folgen Konstruktionsprinzipien, die bis zur Neuzeit stets gleich geblieben sind.

Interessant und lehrreich ist vor allem das Prinzip, dem die von Moller geplanten Hauptstraßen folgten. Sie streben stets auf einen innerstädtischen Punkt zu, und enden an diesem Punkt. Moller wäre nie auf die Idee gekommen, wie alle großen Stadtplaner der Antike und der Neuzeit, eine Straße gewissermaßen im Nirgendwo enden zu lassen.


Radialstraßen führen in einer Planstadt der Antike bis zur Neuzeit stets auf ein Ziel zu, und zwar auf ein innerstädtisches Ziel, sie führen in die Stadt hinein, und nicht durch die Stadt hindurch. Auch wenn Moller eher nicht nach den esoterischen Prinzipien der Geomantie gebaut hat - als Mitglied einer Freimaurerloge waren im esoterische Denkweisen sicher nicht fremd - so folgte er doch gewissen geomantischen Prinzipien. 


Eine schnurgerade Straße, die mitten durch eine Stadt führt, wie die heutigen Stadtautobahnen hätte er als absurd angesehen, denn die Straßen Darmstadts sollten ja in die Stadt, die Residenz führen, der Hauptstadt eines gar nicht so kleinen Landes. Moller wäre gar nicht auf die Idee gekommen, daß das Hauptziel eines Reisenden die Durchreise sein könnte.


So führt die Rheinstraße zum Louisenplatz und auf das Schloß zu, und nicht etwa am Schloß vorbei. Die Neckarstraße endet an der Rheinstraße - die spätere Kasinostraße gehörte nicht zur ursprünglichen Planung - die Mainstraße (heute Mathildenplatz) endet nicht direkt am Maintor und führt als Artilleriestraße (heute Wilhelminenstraße) direkt auf die Rundkirche St. Ludwig zu. Die drei Hauptstraßen - Rheinstraße, Mainstraße, Neckarstraße - haben damit alle einen Endpunkt in der Stadt, sie führen alle ins Zentrum Louisenplatz.


Der brachiale Durchbruch der Kasinostraße nach dem Krieg und die monströs aufgeweitete Neckarstraße und Landgraf-Georg-Straße zeigen damit das völlige Fehlen des Verständnisses für den Geist der Stadt.


Man muß kein esoterischer Geomantiker sein, um zu konstatieren, daß die Kraft der Stadt durch diese Schneisen aus der Stadt fließt. Ein Spaziergang durch die verrottete Fußgängerzone der Stadt zeigt die ganz und gar nicht esoterische Realität der Stadtentleerung.


Es ist, als sei Darmstadt eine Wanne, und jemand hat den Stöpsel gezogen.

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