Samstag, 4. Februar 2017

Zehntausend Wohnungen: die Rückkehr der Mietskaserne.

Zilles Darstellung des anmutigen Millieus der Berliner Mietskaserne

Die Kandidaten für das Amt des Darmstädter Oberbürgermeisters überschlagen sich derzeit mit ihren Angeboten. Unter 10.000 Wohnungen geht gar nichts. Die schwarzgrüne Koalition hat die Marke gesetzt.

Zunächst: Fehlt in Darmstadt wirklich Wohnraum? Eigentlich nicht. Der Durchschnitts-Darmstädter lebt heute mit 42 qm Wohnfläche auf doppelt so großem Fuß wie in den 60igern. Die Durchschnittsbelegung betrug 2006 nur noch 0,47 Personen pro Raum (1968: 0,71). Auch im Vergleich zu anderen Großstädten ist das viel. In Frankfurt sind dies, je nach Stadtviertel zwischen minimal 25 maximal 47 qm. Grund für diese gewissermaßen unwirtschaftliche Nutzung des vorhandenen Wohnraums ist u.a. die Hohe Zahl der Einpersonenhaushalte, die in der Innenstadt mehr als 60% Anteil haben.

Fragt man bei den Programmmachern nach, wo die Wohnungen gebaut werden sollen, werden die Aussagen dünn. Nur wenige wagen sich, zu sagen, was das bedeutet. Nachverdichtung heißt das Zauberwort, aber konkrete Beispiel fehlen.

Mir sind die Beispiele bekannt. Ich habe in mehreren Fällen gegen solche "Nachverdichtungen" geklagt. Zum Beispiel an der Gardistenstraße, wo ein Neubau gegen die Vorgaben des BPlans verstieß, der verlangte, daß das historische Ensemble der Gardistenhäuser aus denkmalschützerischen und städtebaulichen Gründen nicht tangiert werden dürfe.

Die Mandantin ließ sich "rauskaufen", das Ergebnis, das sämtliche Vorgaben des BPlans verletzte, kann man nun besichtigen. Mit Billigung der damals grünen Planungsdezernentin Lindscheid und gegen den Widerstand der Anwohner, die viel Geld in die denkmalsgerechte Renovierung der Gardistenhäuser gesteckt haben wurde in der brutalstmöglichen Weise "nachverdichtet".

Die zum neuen Dogma erhobene Nachverdichtung wird die Wohnqualität erheblich verschlechtern. Wo ein dreistöckiges Gebäude stand, steht nun ein fünfstöckiges, wo Parkplatz fehlte, ist er nunmehr nicht mehr vorhanden. Bei der Sanierung des Martinsviertels hat man die Blöcke entkernt, um mehr Luft, Licht und Sonne für den Wohnbestand zu schaffen und nun retour? Mietskasernenbau im Stil der "Jahrhundertwende"? Hinterhäuser, die den Vorderhäusern, Licht Luft und Sonne nehmen?

Das Ergebnis wird dazu führen, daß demnächst überall Kranichstein sein wird, weil in den "verdichteten" Vierteln die Wohnqualität sinkt, die Attraktivität nachläßt, die Besserverdienenden wegziehen.

Außerdem setzt das Baurecht enge Grenzen. Oder auch nicht. Man kann das Baurecht, wie oben beschreiben, ja auch einfach ignorieren.

Der neue Baugebietstyp des "Urbanen Gebiets" (§ 6a BauNVO) soll Wohnraum in hochverdichteten Innenstädten schaffen. Man wird sich da das neue Wohnbürohaus vorstellen können mit einem dutzend Geschossen oder mehr. Das Menglerhochhaus und die überzähligen Bürobauten bieten sich an.

Ganz besonders sinnig ist - auch das findet sich in den Vorschlägen -die Idee der Bebauung des Marienplatzes mit Wohnungen. Dieser Platz ist in Wahrheit das Gelände der ehemaligen Dragonerkaserne. Der Marienplatz lag östlich der Heidelberger, wurde aber unter dem Betongebirge des Landestheaters begraben. Der ehemalige Palaisgarten wurde durch das Luisencenter überbaut. Als Ausgleich sollte der neue Marienplatz eine Grünfläche werden.

Die Lösung liegt u.a. im Wiederaufbau - noch immer gibt es zahlreiche Häuser in der Innenstadt, wo nach dem Krieg nur ein oder zwei Geschosse wiederaufgebaut wurden, in der Verbesserung der Wohnqualität (wer baut schon Wohnungen am "Cityring") und in der Verbesserung des Verkehrssytems, damit Wohnen im Umland attraktiver wird. Da ist nämlich noch Fläche vorhanden.

Die Lösung liebt vor allem in einer dichteren Bewohnung, nicht einer dichteren Bebauung. Es braucht also Anreize dafür, etwa dann, wenn die Kinder aus dem Haus sind, eine kleinere Wohnung zu suchen.

Auch hier wäre der Mut zur Wahrheit bitter nötig. Die innerstädtischen Wohnbauflächen für den Wohnbau sind praktisch nicht vorhanden, will man nicht auch noch die letzte Freifläche zubauen. Die Nachverdichtung führt zur Verschlechterung der Wohnqualität, die Mietskaserne ist kein heiß begehrter Wohnort.

Schließlich ist in Darmstadt selbst sanierter Altbau-Wohnraum unter 9 Euro netto/Kalt nicht zu bekommen. Ohne massive Subventionierung läuft also gar nichts, will man die soziale Segregation vermeiden.

Darmstadt muß über den Tellerrand, sprich die Stadtgrenze schauen, der Wohnungsneubau ist in Darmstadt zu Ende.

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